Kaum hatten wir unsere Romreise für Anfang Mai gebucht, wurden wir auf eine Hochzeit nach Montenegro Im Juni eingeladen. Montenegro liegt am Meer unterhalb von Bosnien und ist 1.666,3 km von Deutschland entfernt. Mit dem Auto würde die besagte Strecke voraussichtlich 20 Stunden dauern. Nicht nur, dass wir kein Auto besitzen, auch ist die Sicherheit im Verkehr statistisch am niedrigsten und fällt daher weg. Mit dem Flugzeug wären wir in knapp 2 Stunden Flugzeit dort. Das ist die schnellste Möglichkeit dorthin zu gelangen, nicht wahr? Doch wir wollten so nachhaltig wie möglich verreisen. Für diese verkürzte Reisezeit mit dem Flugzeug würden wir 1.380 kg CO2 hin und zurück für zwei Personen verursachen. Mit Bus und Zug ist die Sicherheit statistisch hoch, die Reise dauert aber insgesamt 36 Stunden, also 1 ½ Tage. Das ist für unsere Begriffe auch zu lang und so kamen wir auf die Idee die Reise aufzuteilen und noch ein Zwischenziel in Belgrad, Serbien, einzulegen.
So sind wir zuerst mit dem Bus und dann mit dem Zug weiter gefahren und achtsam gereist. Reisebeginn war ein Abend, an dem wir mit dem Flixbus erst mal bis nach Ungarn fahren sollen. Wir sind in Frankfurt um 18:45 Uhr abends eingestiegen und haben im Bus gesessen, erzählt und den Sonnenuntergang beobachtet. Dementsprechend ist es langsam dunkler geworden und auch die Lichter im Bus gingen nacheinander aus, alle wollten schlafen. Ich natürlich auch und so packte ich mein Reisekissen und -decke aus. Das Kissen begleitete früher meine Schwester auf Reisen und heute mich. Die Decken sind zwar sehr dünn und daher leicht im Transport, erfüllen aber einen wärmenden und gemütlichen Zweck auf Reisen. Der Bus hielt noch ein paar Mal an verschiedenen Stationen an, um weitere Passagiere aufzunehmen. Das hat nicht gestört, auch weil alle sehr rücksichtsvoll waren und so habe ich einfach weiter geschlafen. Morgens sind wir mit dem Blick auf Felder und einem blauen Himmel in Ungarn aufgewacht. Diesen Moment habe ich am bewussten Reisen ausgekostet und genossen. Ist es nicht schön aufzuwachen und ins Nichts zu schauen?
Um 08:45 sind wir in Budapest angekommen und haben von der Fahrt kaum etwas mitbekommen, da wir die meiste Zeit schlafend verbracht haben. Dort hatten wir 3 Stunden, bis der nächste Bus kommt. Die Zeit haben wir uns für ein gemütliches Frühstück eingeplant und Brot, Aufstriche, ein Messer, kleine Tomaten und Smoothies dafür mitgenommen. Der Ablauf bis hierhin glich dem von zu Hause, abends den Tag ausklingen, schlafen und morgens frühstücken. Die Sonne schien herrlich und wir genossen unser Essen am Bahnhof an einem Pflanzenbeet, während wir das Geschehen um uns herum beobachteten. Die restliche Zeit nutzten wir für einen Spaziergang, um den Bahnhof ein wenig zu erkunden. Außerdem suchten wir öffentliche Toiletten auf, damit wir uns die Zähne putzen können. So ging die Zeit schnell vorbei und der nächste Bus war auch schon da. Es war ein sehr moderner Doppeldecker mit Wifi und wir hatten Glück mit Sitzplätzen auf oberer Ebene. YAY! An der Grenze Ungarn zu Serbien mussten wir etwas länger warten und so standen die meisten draußen. Es war bereits mittags und die Juni-Sonne unglaublich heiß! Solche Stopps bieten immer die Möglichkeit sich die Beine zu vertreten und mit den anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen. Ein Mitreisender hat uns viele Tipps für Belgrad gegeben, da wir bisher kaum Zeit hatten, um danach zu recherchieren. Am Nachmittag um 17:45 Uhr haben wir also unser erstes Reiseziel, Belgrad erreicht.
Wenn wir geflogen wären, hätte ich das alles nicht gesehen und nicht erlebt!
Die Stadt war unglaublich lebendig und einzigartig. Auch wenn die Bauten kommunistisch geprägt sind, gab es noch viele sehenswerte Gebäude. Eine historische Festung, der St. Sava Tempel, die belebte Innenstadt mit der berühmten Einkaufszeile Knez Mihailova und das Nikola Tesla Museum sind nur wenige tolle Sehenswürdigkeiten, an die ich heute noch zurückdenke.
Kulinarisch hat die Stadt mit ihren vielen Bars und Restaurants auch vegan sehr viel zu bieten. Am ersten Abend waren wir in einem fancy Rooftop-Restaurant, in dem es ausschließlich vegane Köstlichkeiten gab. Wir mussten mehrmals in die Karte schauen, um uns zu vergewissern, dass es wahr ist. Am letzten Tag vor unserer Abreise haben wir noch einen typischen Balkan-Teller (Foto) nur eben in veganer Variante probiert. Die vielen Angebote konnten wir uns nicht entgehen lassen und haben durchweg geschlemmt!
Am dritten Tag ging es morgens um 09:00 Uhr mit dem Zug zum eigentlichen Ziel nach Montenegro weiter. Das lag nur noch 604km von uns entfernt. Schon am Bahnhof spürte ich eine andere Mentalität. Neugierig wie ich bin, erkundigte ich mich bei einem der Mitarbeiter, ob das Zugabteil vom damaligen Präsidenten Jugoslawiens, Tito, tatsächlich in der Nähe steht. Er packte direkt sein Handy aus, zeigte mir alle Fotos und sagte zu jedem etwas. Auch erzählte er uns, dass die jetzigen Züge, Secondhand aus Deutschland sind. Dadurch sind die Wagons nicht identisch. Es gab weder W-Lan, noch ein Bordrestaurant. Für unsere Zugverhältnisse unvorstellbar, oder? Mir persönlich fehlt beides nicht. Wir haben wie immer viel Proviant, wie Brote, Äpfel, Nüsse, Müsliriegel und Wasser für die Fahrt dabei.
Die Zugfahrt war so witzig und es hat sich angefühlt wie in einer anderen Welt. Obwohl unser Wagon nicht voll mit Menschen war, war es recht laut. Um uns herum wurde viel telefoniert. In Deutschland würde man versuchen so leise wie möglich zu reden und das Gespräch kurz zu halten, damit man niemanden stört. Hier schien das Gegenteil der Fall zu sein, ständig rief ein*e Familienmitglied oder Freund*innen die Mitreisenden an und sie unterhielten sich und lachten ausgiebig. Die Strecke zwischen Belgrad und Bar schien ein beliebtes Reiseziel zu sein, denn viele von ihnen wollten zum Urlaub ans Meer. Trotz Rauchverbot, stellten sich viele Passagiere zwischen die Wagons und gingen dort ungeniert ihrer Gewohnheit nach. Das hätte sich in Deutschland niemand getraut! Das Geschehen um einen herum war spannend zu beobachten. Anfangs habe ich viel gelesen oder wir haben ein Pocket Spiel gespielt. Der Zug ist durch die Berge gefahren und um uns herum waren daher viele Berge und Täler zu sehen. Irgendwann gab ich das Lesen auf und bewunderte den Ausblick. Mit einigen Passagieren sind wir von rechts nach links gelaufen und haben die Aussicht gemeinsam bestaunt. Bäume, Tiere, Seen und die höchste Eisenbahnbrücke Europas (498 Meter hoch) haben die Fahrt zu einem wunderschönen und unglaublichen Erlebnis gemacht.
Irgendwo auf der Strecke haben wir angehalten, da wir an der Grenze von Serbien zu Montenegro waren. Dort standen wir eine Stunde lang und der Ausblick war unglaublich unbeschreiblich toll. Die Zeit nutzten wir für Selfies, Fotos von der idyllischen Landschaft und um den Ausblick einfach zu genießen. Die Reise war trotz der alten Zugwagons sehr angenehm und entspannt. Besonders mit zwei jungen Frauen kamen wir öfter ins Gespräch. Zwischen ihnen und einer älteren Dame hatte ich anfänglich übersetzt. Sie wurden während der gesamten Fahrt von der Dame und ihrem Essen mit verpflegt. Auch wir tauschten untereinander unser Proviant, tolle Gespräche sowie bisherige Reiseerfahrungen, vor allem solche mit dem Zug aus. Denn sie waren für einige Monate achtsam mit dem Zug unterwegs. Bevor wir um 20:00 Uhr abends in Bar ankamen, haben wir noch einen prächtigen Sonnenuntergang über einem See erlebt. Die Atmosphäre war so romantisch!
Die Rückreise mussten wir leider mit dem Flugzeug antreten. Denn wie gesagt, ist die Reise direkt einen Monat nach unserer ersten gewesen und in einem so kurzen Zeitraum ( 1 Monat später) nach der Romreise konnten wir nicht länger Urlaub nehmen. Schwerend hinzu kam, dass die Hochzeit an einem Sonntag stattgefunden hat, was ein orthodoxer Brauch ist. Für uns eher ungewöhnlich, wenn Hochzeiten primär Freitags oder Samstags gefeiert werden. Eigentlich wären wir an dem Sonntag mit Bus und Zug gerne wieder zurück in Deutschland gewesen, um am Montag wieder an die Arbeit gehen zu können. Nun war es eine Hochzeit in der Familie und aus diesem Grund sind wir einen Kompromiss eingegangen und nachhaltig mit Bus und Zug hin, aber mit dem Flugzeug zurück gereist. Es hat sich nicht gut angefühlt. Mit dem Bus und Zug hätten wir hin und zurück für 2 Personen 130 kg verursacht. Das sind mit dem Flugzeug 10x mehr viele Emissionen. Nichtsdestotrotz sehen wir den Erfolg, wenn wir 690 kg an Treibhausgasen eingespart haben. Natürlich haben wir die Menge an CO2, die bei der Rückreise entstanden ist bei atmosfair kompensiert.
Wenn wir mehr Zeit für die Rückreise gehabt hätte, wären wir eine andere Strecke mit einem anderen Zwischenstopp zurück gefahren und während der Fahrt wieder die tolle Natur erleben dürfen, anstatt langer Wartezeit am Flughafen verbringen zu müssen. Wir haben nicht nur eine Menge Emissionen gespart, wir haben viel gewonnen! Die Landschaften, das achtsame Reisen, viele Gespräche mit anderen Reisenden, ein Zwischenziel und eine der wunderbarsten Reise-Erfahrungen.
Ich bin so froh, dass ich dieses Video von der Zugstrecke zwischen Serbien und Montenegro entdeckt habe. Die Unbequemlichkeiten des alten Zuges sind durch die faszinierende Zugstrecke überhaupt nicht spürbar. Die Strecke in dem Video führt von Montenegro (Podgorica) nach Serbien, ist aber identisch mit unserer.